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AADRL Masterstudium: Entwurfsforschung
Patrik Schumacher 2002
Published In: Arch+ , Zeitschrift fuer Architektur und Staedtebau, #163


I. Der Entwurf von Forschung

Das Design Research Laboratory an der Architectural Association Ð AADRL - in London - ist ein 16 monatiger post-professionelller Studiengang. Wir versuchen im Rahmen dieses Studiengangs eine Form von architektonischer Forschung zu etablieren, deren wesentliches Instrument kollektiv erarbeitete Entwurfsprojekte sind. Unser Forschungsschwerpunkt - "Responsive Environments" - erprobt die Augementierung architektonischer Artefakte mittels elektronischer SensibilitŠt und Motorik, im Sinne einer intelligenten Symbiose zwischen Nutzer und Umgebung. Wir arbeiten mit 90 Studenten aus 33 LŠndern, unterstŸtzt von Ingenieuren und innovativen Firmen. In dieser heterogenen Mannschaft stecken Synergiepotentiale, die wir Ÿber die Bildung von multiplen, wechselnden Arbeitsgruppen realisieren. Bei aller Verschiedenheit der Sprache und architektonischen Kultur, sind die gŠngigen Software-produkte das allen selbstverstŠndliche Verbindungsglied. Programme wie 3ds max und Maya, auf die unser Studiengang zugeschnitten ist, werden sehr schnell zu Plattformen der Kommunikation. Auf diese Weise wird eine KohŠrenz hergestellt, die fŸr die DurchfŸhrung einen einheitlichen Forschungprogramms wichtig ist. Dem zentralen Forschungs- und Entwurfsprojekt gehen verschiedene Workshops, voraus, die vor allem dem spielerischen Experimentieren mit Techniken und formalen Prinzipien gewidmet sind. Im Sinne unseres Forschungsschwerpunkts "Responsive Environments" ist der Begriff formaler Prinzipien allerdings nicht auf Morphologie beschrŠnkt, sondern bezieht sich ebenso auf Prinzipien der Sensorik, der Kinetik und der Vernetzung von Verhaltensweisen. Dennoch kann man auch hier von formalen Prinzipien sprechen, da zunŠchst abstrakt experimentiert wird, ohne konkrete Funktionskriterien. In begleitenden Seminaren werden theoretrische †berlegungen vertieft und kontextualisiert. Schliesslich wird eine konkrete Entwurfsaufgabe, auf der Basis von sogenannten Quasi-klienten, gestellt. Die Bearbeitung, in Zwei Phasen, ersteckt sich Ÿber ein volles Jahr. Die Ergebnisse werden šffentlich diskutiert und ausgestellt.


II. Praktische Ausbildung - Akademische Lehre - Forschung

In einer Zeit des technologischen und des sozial-škonomischen Strukturwandels kann sich die Architektur immer weniger auf die Reproduktion bewŠhrter Typologien verlassen. Insofern die typische Halbwertzeit von mustergŸltigen Lšsungen sich verringert, so veringert sich auch der Wert einer Lehre, die sich als das Vermitteln solcher Musterlšsungen begreift. Die Notwendigkeit systematischer Forschung wird virulent. Diese Dynamik verschiebt den Akzent der Lehre von dem individuellen EinŸben von Entwurfsprinzipien, zur kollaborativen Forschungsarbeit.

Die traditionelle Architekturausbildung war zunŠchst dem Modell der praktischen Lehrlingsausbildung gefolgt. Seit der Renaissance wird diese Praxis der Traditionsbildung, mit der Verbreitung theoretischer Traktate kombiniert. Eine akademische Architekturlehre wurde zuerst in Frankreich, mit der GrŸndung der "Academie de lÕarchitecture" 1671 etabliert. In England und Amerika wurde die akademischen Lehre im 19.Jahrhundert eingefŸhrt und ist seitdem Ÿberall die vorherrschende Form der Architekturausbilding, und Vorbedingung des Eintritts in den Berufsstand. Im 20sten Jahrhundert wurden Architekturschulen darŸberhinaus zu einem Motor der progressiven Architekturentwicklung, allen voran das Bauhaus, die Vhutemas, und spŠter das IIT, sowie HarvardÕs GSD, schliesslich die AA und Columbia University.

Allerdings gibt es keine, als solche ausdrŸcklich institutionalisierte Forschung in der Architektur. Anstatt dessen ist die Aufgabe der Innovation gewissen Schulen einerseits, und dem "Avant-garde"-Segment des praktizierenden Berufsstandes andererseits, Ÿberlassen. Beide Surrogate sind mit eigentŸmlichen Nachteilen und BeschrŠnkungen behaftet: Die Avant-garde-Praxis muss versuchen, ihre Auftraege fŸr die Arbeit an verallgemeinerbaren, innovativen Architekturkonzepten zu instrumentalisieren. Dies verlangt Verweigerung gegenueber vielen konkreten Interessen des Bauherrn. Selbst wenn dies gelingt, bleibt es, angesichts einer zufŠlligen, heterogenen Serie von AuftrŠgen, fast unmšglich ein kohŠrentes Forschungsprogramm zu installieren.
Ein akademischer Lehrbetrieb, der nicht von der kommerziellen ProfibilitŠt seiner Arbeit abhŠngt, ist nicht in dieser Weise eingeschrŠnkt und kann seine Aufgabenstellung frei wŠhlen. Allerdings wird dann eine besondere Anstrengung zu machen sein, um der Gefahr, in die rein "akademische" Irrelevanz abzugleiten, entgegenzuwirken. Oft sind Struktur und Inhalte der Lehre zu unflexibel, um unbŸroktratisch den gesellschaftlichen Trends innovativ nachzuspŸren. Eine schwerwiegende BeschrŠnkung liegt in der relativ kurzen "Vertragsdauer" der studentischen "Forscher" - bei post-graduierten StudiengŠngen betrŠgt dies oft nur 12 Monate - die Umfang und TiefenschŠrfe der Projekte kŸnstlich begrenzen. Dazu kommt die betrŠchtliche BŸrde, jedes Jahr eine neue Generation von Studenten/Forschern anzulernen. Trotz dieser BeschrŠnkungen scheint die post-professionelle Lehre noch am ehesten in der Lage, eine systematische Forschungspraxis in der Architektur zu etablieren.
Auf diese Weise werden die post-graduierten Studenten zu einer vitalen Resource fŸr ein Proto-Forschungsinstitut der Architektur. WŠhrend die Wissenschaften bereits dabei sind ihre Forschung von der Lehre abzukoppeln, findet in der Architektur erst noch die Herausbildung der Forschung im Schosse der Lehre statt. Man mag vermuten, da§ letzlich auch in der Architektur die Forschung sich emanzipieren und unabhŠngig etablieren wird. In der Zwischenzeit mutieren die Schulen, um in ihren Innern den AnsprŸchen der Forschung Raum zu geben.

Die Transformation von traditioneller Architekturausbildung zu einer architektonischen Forschungsarbeit hat eine Reihe charakteristischer Konsequenzen, die im AADRL nach und nach entdeckt und implementiert wurden: 1. Die Verschiebung des Akzents von Lehre zu Forschung impliziert eine unwiderrufliche Abkehr vom Modell der individuellen Architektenpersšnlichkeit. Alle Arbeit findet in Arbeitsgruppen statt: Workshops, Entwurfsprojekte und alle theoretische Arbeit. Die Maxime der kollektiven Arbeit bezieht sich auch auf die Lehrenden bzw. Forschungsleiter. 2. Die thematische Einheit und Vergleichbarkeit der Forschungsarbeiten ist sicher zu stellen. Alle arbeiten im Sinne einer Ÿbergeordneten Problemstellung. Alle Arbeiten lassen sich gegenseitig als kommensurable Varianten und Alternativen zueinader in Beziehung setzen. Alle Beurteilung kann nach gemeinsamen Kriterien erfolgen. 3. Die Einrichtung einer "open source" Infrastruktur (Netzwerk) macht alle Arbeit jederzeit fŸr alle Beteiligten fraglos zugŠnglich. Keine AnsprŸche auf individuellen Autotenschaft sind zulŠssig. Kein Begriff von intellektuellem Eigentum darf der Proliferation von neuen Ideen im Weg stehen.
4. Im AADRL werden mšglichst langfristige Forschungsprogramme formuliert, in bewu§tem Gegensatz zu dem typischen BedŸrfnis nach Abwechslung, das sich im Angebot von einer oft gŠnzlich disparaten Serie von Semesteraufgaben niederschlŠgt, die die zufŠllige Aneinandereihung von Klienten und AuftrŠgen des Berufstandes wiederspiegeln. Anstatt dessen erlauben langfristige Forschungsprogramme einen systematischen Wissenszuwachs, d.h. den kummulativen Aufbau von relevanten Techniken, differenziertem theoretischen Vokabular, innovativen Lšsungen etc.


III. Forschung im Modus des Entwerfens

Architektur ist eine Entwurfsdisziplin. Architektonische Innovation involviert die Erfindung von rŠumlichen Konstrukten, sowie die Spekulation Ÿber Mšglichkeiten der sozialen Nutzung. Deshalb kann architektonische Forschung sich nicht auf die Beschreibung und ErklŠrung von vorgefundenen PhŠnomenen beschrŠnken. WŠhrend eine empirische Informationsaufnahme und theoretische ErklŠrung der Entwurfsbedingungen eine notwendige Komponente der architektonischen Forschung ist, mittels derer sich die entwurfsmŠssige Forschung von einer blo§ intuitiven Entwurfspraxis unterscheidet, muss dieses analytische Moment (Empirie und Theorie) jedoch in einer generativen Praxis, die systematisch zur Synthese neuartiger Konstrukte fŸhrt, instrumentalisiert werden. Deshalb muss genuin architektonische Forschung letzlich in der Form von Entwurfsprojekten vorangetrieben werden. Die Kardinalfrage lautet: Unter welchen Voraussetzungen kann sich Entwurfsarbeit als eine Form von Forschung qualifizieren?

Die Bedingungen unter denen ein Entwurfsprojekt als ein Teil von Forschung konstituiert wird lassen sich nicht in Bezug auf bestimmte Eigenschaften eines isolierten Projektes identifizieren. Um einen inhaltsreichen Begriff von architektonischer Forschung zu bilden, muss zunŠchst ausgeschlossen sein, dass jedes innovative Projekt aus sich heraus schon ein Beitrag zur Forschung ist. In Bezug auf ein isoliertes Projekt selbst gibt es weder notwendige noch hinreichenden Bedingungen. Selbst die Bedingung des Neuen ist keine Notwendigkeit, insofern ein Projekt als Vergleichs- bzw. Kontrollprojekt in einem Forschungsprogramm fungieren kann.
Die Qualifikation einer Entwurfsarbeit als Forschung muss auf den akademischen Kontext referieren, in dem die Arbeit entwickelt, beurteilt und fortgeschrieben wird. Die einzelnen Projekte sind in eine ganze Serie von Projekten eingebettet, die simultan vorangetrieben werden, und deren jeweilige ZwischenstŠnde und Resultate aufeinander bezogen werden. Die einzelnen Entwurfsarbeiten sind Teil eines Forschungsprogramms, das ein verbindliches Thema und eine darauf bezogene gemeinsame Zielsezung formuliert. Dazu ist eine Theorieschiene, zumindest die Herausbildung eines spezifischen Jargons, unerlŠsslich. Dadurch werden eine gemeinsame Ebene der Abstraktion, die relevanten Vergleichsgesichtspunkte und die Erfolgskriterien festgelegt, die die Arbeit und Kommunikation erst mit genŸgender SchŠrfe zu fokussieren erlauben. Aufgrund der immanent gesetzten Erfolgskriterien werden Projekte befšrdert, abgebrochen oder zurechtgerŸckt, immer in einem Feld gleichartiger Projekte.Nur so potenzieren sich die Teile wechselseitig und entwickeln eine gemeinsame Stossrichtung. Dieses Feld von Projekten akkumuliert von Jahr zu Jahr, auch wenn hier Halbwertzeiten zu berŸcksichtigen sind. Jedes Projekt aktulisiert AnsŠtze Šlterer Projekte, und produziert zugleich virtuelle SinnŸberschŸsse, die es im weiteren zu realisieren gilt. Insofern ein solcher kontinuierlicher Forschungskontext als Kommunikationskultur prinzipiell etabliert ist, kšnnen auch zunŠchst isolierte Arbeiten anderer mit in den Forschungshorizont eingebunden werden.
Wo Thesen explizit gesetzt sind, kann Kritik als immanente Kritik fokussiert werden, und das typische PhŠnomen, da§ bei EntwurfsprŠsentationen die Kritiker je ihre eigenen Themen an das Projekt herantragen, wird weitgehend vermieden. Die Essenz dieser †berlegungen bedeutet, da§ die minimale Sinneinheit der Forschung nicht die Einzelerfindung, sondern das Forschungsprogramm ist, wiederum eingebettet in einen weiteren Diskurs. Wissenschaftliche Arbeit, auch im Sonderfall von wissenschaftlich strukturierter Entwurfsarbeit, laesst sich aus dem kollektiven Prozesses der Reflektion und konsequenten Selbstkritik nicht herausloesen.


IV. Ein Doppelspuriges Forschungsprogramm

Zeitgleich mit den gesellschaftlichen Wandlungsprozessen, die die Architektur mit neuen, charakteristischen Problemstellungen herausfordern, (ver)fŸhren die neuen digitalen Entwurfsmedien die Disziplin in ein noch unerforschtes Reich der Mšglichkeiten. Die Kernfrage ist hier, ob die kreative Aneignung der neuen Medien zum Aufbau von neuen technischen, methodischen und konzeptionellen Resourcen gefŸhrt werden kann, die produktiv auf die neuen charakteristischen, architektonischen Probleme der Gesellschaft ausgerichtet werden kšnnen.
Innovation ist immer zwischen zwei Pole gespannt: der Herausarbeitung zentraler Problemstellungen einerseits, und der Ausweitung des Mšglichkeits- bzw. Lšsungsraums andererseits. Keine der beiden Pole ist auf den anderen reduzierbar. Fortschritt auf nur je einer Seite ergibt noch keine wirksame Innovation. In der Disziplin der Architektur war diese PolaritŠt immer wieder Anlass einer produktiven Arbeitsteilung zwischen der Analyse der neuen, gesellschaftlich-funktionalen Anforderungen einerseits und der Proliferation neuer gestalterischer Repertoires andererseits. Diese latente Bifurkation der disziplinŠren Entwicklung ist in jŸngerer Zeit an der gelŠufigen Entgegensetzung von HollŠndischer und US-amerikanischer Neo-avant-garde abzulesen. Das sozial-programmatischen Interesse der HollŠnder manifestiert sich unter Ausschluss der formalen Anliegen der Nordamerikaner, und umgekehrt. Beide Tendenzen erregen (und verdienen) Aufmerksamkeit. Der Erfolg, auf beiden Seiten, geht allerdings einher mit einer gewissen, ideologisch verhŠrteten Einseitigkeit.
Von aussen betrachtet lŠsst sich hier, trotz des harten Gegensatzes der Manifeste, eine potentielle KomplementaritŠt der Pole projektieren. Die je unabhŠnige Verfolgung der je einseitigen Ausrichtung hat seine eigene RationalitŠt und bringt tatsŠchlich schnellere Resultate als eine simultane Verfogung beider Pole. Die Bearbeitung muss in parallele StrŠnge oder in sukzessive Phasen auseinandergezogen werden. Mit dieser Feststellung ist aber zugleich die Frage der (notwendigen!) Synthese der Ergebnisse beider StrŠnge gestellt. Diese Synthese ist keine triviale Angelegenheit, sondern selbst ein Akt der kreativen Intelligenz. Sie bedarf einer virtuosen Oszillation zwischen den beiden, ausgiebig aufbereiteten Feldern. Hier gibt es keine fertigen Eins-zu-eins-Korrespondenzen zwischen Problemen und Lšsungen. Potenzielle Korrespondenzen mŸssen im Entwurfsprojekt erst gesucht und ausgearbeitet werden. Dabei mŸssen systematisch Suchmaschinen ins Feld geschickt werden. "Lšsungen" kšnnen genausogut auf die Suche nach Problemen gehen, wie umgekehrt Probleme nach Lšsungen suchen. Das so gefilterte Material kann dann in ausgedehnten Versuchsserien von Form-Funktionskomplexen ausprobiert und an Hand von thema-immanenten Kriterien ausgewertet werden.
Was wir Entwurfs-Forschung ("Design Research") nennen ist der Versuch ein derartiges Oszillieren zwischen den beschriebenen Polen der Innovation zu systematisieren, indem wir einen thematischen Rahmen definieren, innerhalb dessen sowohl die Problemzone (im Sinne der gesellschaftlichen Fragestellung), als auch der potentielle Lšsungsraum (im Sinne vorausgesetzter formal-rŠumlicher Prinzipien) genŸgend eingeschrŠnkt ist, um eine ganz spezifische Serie von Entwurfhypothesen formulieren zu kšnnen.

Die initiale Zielsetzung des AADRL, wie wir sie 1996 formuliert hatten, versprach eine solche innovative Synthese von sozialen und formalen Untersuchungen. Die Aufgabe, die wir uns stellten war es, den sukkzessiven Wellen der digital basierten, formalen Innovation nicht nur weiter Vorschub zu leisten (dies auch!), sondern dieses Material sozial-škonomisch zu interpretieren. Je lŠnger diese formale Welle sich ohne Ÿberzeugende Problemstellung und Funktionalisierung auftŸrmte, umsogrš§er schien die Gefahr der Diskreditierung und des Zusammenbruchs. Reibung und Widerstand mussten der Bewegung endlich Gestalt und Substanz geben.


V. Von "Corporate Fields" zu "Responsive Environments"

Das erste strategische Problemfeld, d.h. das gesellschaftliche Feld, da§ den neuen Form- und Raumkonzepten Inhaltliche Substanz geben konnte, war in dem Paradigmenwechsel, der sich in der Theorie und Praxis der Firmenorganisation vollzieht, ausgemacht. Hier, bei der Restrukturierung in anvancierten Firmen des Dienstleistungssektors, vollzieht sich ein spŸrbarer Umbruch von klar geschnittenen Hierarchien hin zu selbst-organisierenden Netzwerken. FŸr die ersten vier Jahre des AADRL haben wir innerhalb von "Corporate Fields" eine bewu§t sehr eng gewŠhlte Bandbreite von formalen, rŠumlich-organisatorischen Konzepten (komplexe †berlagerungsstrukturen, kontinuierlich deformierte FlŠchenstrukturen, kontinuierlich differenzierte Raumfachwerke, PartikelschwŠrme) auf einen diskursiv ebenso eng begrenzten (aber paradigmatischen) Auschnitt der gesellschaftlichen RealitŠt angesetzt, nŠmlich auf die besagte Problematik der (postfordistischen) Firmen-reorganisation. Diese Entwurfsforschung wurde an Hand strategisch ausgesuchter "Quasi-klienten" konkretisiert.
Die Wahl dieses gesellschaftlich virulanten Themas war in mehrfacher Hinsicht produktiv. Zum einen hat sich hier tatsŠchlich die offensichtliche KongenialitŠt und Konvergenz der Begriffe und Metaphern (KomplexitŠt, Durchdringung, fliessende †bergŠnge, Netzwerke etc.) auch im Detail produktiv durcharbeiten lassen; zum anderen ergaben sich hier im Gegenstandsbereich unserer Arbeit offensichtliche Anregungen zur organisatorischen Form unserer Arbeitsweise. Der Anspruch von Innovation hat sich fŸr uns seither immer sowohl auf die Inhalte, als auch auf unsere eigene Arbeitsorganisation erstreckt.

Das unersŠttliche Verlangen nach FlexibilitŠt, das wir im Milieu der neuen Firmenkultur antreffen, hat bei uns den spezifischen Einsatz von Animations-software zu Entwurf und Simulation von kinetischen, responsiven BŸrolandschaften inspiriert. Unser gegenwŠrtiges Forschungsprogramm "Responsive Environments" entstand als Re-fokussierung dieser letzten, konsequentesten Umsetzungen der "Corporate Fields", die die Choreographie des Arbeits-und Kommunikationsflusses unserer Quasi-klienten, sowie die Dynamik der wechselden Zusammensetzung der Arbeitsgruppen wŠhrend der verschiedenen Projektphasen in einem dynamischen, rŠumlichen Milieu abzubilden versuchen. Dies fŸhrt zu einem System von rŠumlichen Komponenten, das als ein programmierbares Geflecht von kinetischen Adaptionen und intelligenten Antizipationen interaktiv in das organisationale Geschehen eingreift.
Dieser Aspekt einer mšglichen ResponsivitŠt (SpontanitŠt, InteraktivitŠt) der Architektur ist nun als SelbststŠndiger Forschungzweig von dem spezifischen Kontext der BŸrolandschaft abgelšst und verallgemeinert worden. Wir glauben, da§ sich auf diese Weise ein fundamental neues Paradigma fŸr die Architektur auftut, da§ nach einem eigenstŠndigen Forschungsprogramm verlangt. Architektonisches Entwerfen wŠchst hier Ÿber die Gestaltung von Form und Raum hinaus und wird zur spekulativen Simulation von komplexen Verhaltenssystemen.
Das Forschungsprogramm "Responsive Environments" baut auf zwei wesentlichen technologischen Voraussetzungen auf: 1. Diverse Sensortechnologien, sowie Antriebsysteme werden alltŠglich. Zugleich prescht die avancierte Robotertechnologie immer weiter voraus in der Entwicklung von KŸnstlicher Intelligenz, inklusive kollektiver Mechanismen, LernfŠhigkeit etc. 2. Digitale Werkzeuge erlauben die Modellierung und Simulation responsiver, kinetischer Systeme. Mittels "scripting", "wiring", "inverse kinematics", "force-fields" etc. kšnnen komplexe Interaktionssysteme aufgebaut werden. Die Parameter eines jeden Ojektes kšnnen, innerhalb des Modells, dynamisch mit jedem Parameter eines jeden anderen Objekts verknŸpft werden. Auf diese Weise lassen sich kŸnstliche Welten entwerfen, mit je eigenem System von "Naturgesetzen". Die Mšglichen Anwendungsbeispiele sind dabei weit gestreut (BŸros, Wohnungen, MŠrkte). Unsere neuesten Projekte bestehen dabei typischerweise aus Arrangements kleiner, diskreter Elemente. Unsere Definition von "Baumaterialien" hat sich hier auf alle mšglichen elektronischen Systeme, GerŠte und Mechanismen ausgeweitet, die man heutzutage in die stŠdtische Umwelt eingebettet findet. Auf dieser Basis werden hypothetische Architekturen entwickelt, die auf verschiedenste, aber funktional vergleichbare Weise, mittels kŸnstlicher SensitivitŠt, Motorik und elektronischer Informationsverarbeitung ausgestattet sind. DarŸberhinaus kann (und muss) Ÿber die Symbiose dieser responsiven Systeme mit den Nutzern im Sinne von emergenten sozialen Verhaltensweisen werden. Die gŠngigen Animationsprogramme sind auch hier nicht nur hilfreich, sondern unerlŠssliche Voraussetzung, wenn es darum geht, mit einer gewissen DetailschŠrfe, entsprechende soziale Verhaltensszenarien zu erarbeiten, die eventuell in den vorgeschlagenen "lebendigen Spielwiesen" zu erwarten wŠren. †ber derartige digitale Simulationen hinaus werden im AADRL funktionsfaehige Prototypen (im Modell-ma§stab) hergestellt. Dabei werden unsere studentischen Arbeitsgruppen mit zusŠtzlichen, temporŠren Mitarbeitern wie Programmierern, Robotics Firmen, Ingenieuren und Materialexperten erweitert. Diese erweiterten Teams sind ein notwendiges Pendent zu unseren inhaltlichen Ambitionen, und eine weitere, fundamentale Herausforderung an traditionelle Formen architektonischer Praxis und Lehre.

Ende

Patrik Schumacher
ist Direktor des AADRL seit 1996. Er ist Direktor und Projektpartner bei Zaha Hadid Architects, wo er u.a. zur Zeit an dem Nationalen Italienischen Museum fŸr Gegenwartskunst in Rom arbeitet. Er hat Philosophie und Architektur in Bonn, Stuttgart, London und zuletzt in Klagenfurt studiert, wo er 1999 seinen Dr.Phil. am Kulturwissenschaftlichen Institut der UniversitŠt Klagenfurt absolviert hat.
Brett Steele ist Direktor des AADRL seit 1996. Er war zuvor Diploma-Unit-master an der AA (Architectural Association School of Architecture), und ein Gastprofessor an Harvard Graduate Design School, sowie auch am Berlage Institute in Rotterdam. Brett Steele war Anfang der 90ger Jahre Projektarchitekt bei Zaha Hadid Architects. Er hat Architektur in London, an der Architectural Association School of Architecture studiert.


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