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Eine Kooperation zur Verraeumlichung von Wissen
Patrik Schumacher 2004
Published in: Herbert Lachmayer et al, Editors, Salieri Sulle Tracce di Mozart, Baerenreiter-Verlag, Kassel 2004

 

 

Salieri sulle Tracce di Mozart ist die dritte Zusammenarbeit zwischen dem Kurator Herbert Lachmayer und den Architekten Zaha Hadid & Patrik Schumacher nach Wunschmaschine Welterfindung fur die Kunsthalle Wien 1996 und Alles Schmuck fuer das Museum fuer Gestaltung Zurich 2000. Allen Projekten ist eine fundamentale Zielvorstellung gemeinsam: neue Ansaetze zur Verraeumlichung von Wissen zu zeigen. Dieser Absicht liegt die Annahme zugrunde, dass raeumliche Ordnungssysteme fuer die Erfassung und Entwicklung konzeptueller Muster und Informationsstrukturen bereits immer eine wesentliche Rolle gespielt haben. .

Logik als abstrahierte Architektur

 

Logik ist abstrahierte Architektur. Architektur leiht dem abstrakten Denken seine Figuren: Sie "unterscheidet", "klassifiziert", "stellt Bezuge her". Diese angeblich geistigen Aktivitaeten gewinnen erst auf der Basis von architektonischen Verfahren Form und Regelmaessigkeit. Architektur arbeitet mit Grenzen und Verbindungen. An Waenden zeichnet sich die logische Operation des Unterscheidens ab. Die Logik der Subsumtion beruht auf Folgen von Einfriedungen innerhalb von Einfriedungen, die auf Klassifikationen verweisen. Der Struktur eines Pfads (oder eines Systems von Pfaden) entspringt die analoge Form des Denkens in Gestalt von Abfolgen von chronologischen Ereignissen, Mittel-Zweck-Beziehungen, Kausalketten, Flussdiagrammen, sich verzweigenden Schaubildern wie Entscheidungsbaumen und Stammbaumen usw. Architektur ist der Kern der Mehrzahl konzeptueller Muster, auf die wir heute bauen: Abfolgen, Raster, konzentrische Verschachtelungen.

Die einfachen ausgewogenen Strukturen eignende Symmetrie wurde zur Norm der klassischen Architektur. Sie praegt auch viele klassische konzeptuelle Formalismen in Wissenschaft und Philosophie: Die Kantísche Kategorientafel etwa ist von einem Bestehen auf - Vollstaendigkeit vermittelnder - Symmetrie gekennzeichnet.

Zu Strukturen der musikalischen Komposition gibt es zahlreiche Parallelen. Meist um das, was sie erzaehlt, zu strukturieren, bietet auch Musik durch Konzepte wie Thema und Variation, zyklischer Abschluss und Durchfuhrung verschiedene Schemata und formale Ordnungssysteme.

Eine Architektur, die sich heute ihrer praegenden Rolle bewusst ist, sollte imstande sein, durch wirkungsvolle raeumliche Interventionen Gedankenmuster in Frage zu stellen, die sich tief eingegraben haben.

Ausstellungsgestaltung ist so betrachtet ein idealer Bereich, um die Moeglichkeiten von Architektur als raeumlich-konzeptuelles Ordnungssystem auszuloten.

Traditionelle Ausstellungsgestaltung

 

Konventionellerweise operieren Ausstellungen und Museen mit einer Hand voll sehr einfacher Ordnungsinstrumente, die von der verinnerlichten Palastarchitektur nahe gelegt oder fuer die Einrichtung von musealen Sammlungen kopiert werden. In den meisten klassischen Museen bedient man sich der zentralen Symmetrieachse, um eine grundsaetzliche Zweiteilung vorzunehmen: So zerfaellt ein naturkundliches Museum in der Regel in ein Tierreich zur Linken und eine ethnografische Abteilung zur Rechten. Ein kunsthistorisches Museum laesst sich etwa in Antike und Moderne teilen. Raeume werden gewoehnlich dazu verwendet, Gruppen oder Klassen von Objekten zu schaffen. Jeder Fluegel des Gebaeudes kann fuer eine groessere Gruppierung stehen, der die Raeume in dem Flugel als soundso viele untergeordnete Gruppen zugerechnet werden.

Saalfluchten, die einen linearen Weg vorgeben, werden dazu verwendet, solche Gruppen in chronologischer Reihenfolge anzuordnen. Klenzes Munchner Glyptothek mit ihrer Abfolge von archaischer, klassischer und hellenistischer Kunst mag dafur als Beispiel stehen. (Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass die im vorliegenden Fall im Palazzo Reale verwendeten Raume ebenfalls eine so einfache Flucht bilden.)

Die Erweiterung des Repertoires raeumlicher Ordnungsinstrumente

 

Diese kleine Gruppe von genannten Ordnungsinstrumenten - Zweiteilungen, Einteilen in Gruppen bzw. Untergruppen, Anordnungen in linearen Folgen ñ war und ist alles, was das traditionelle Repertoire der raeumlichen Anordnung von Wissen in Museen und Ausstellungen zu bieten hat. Nicht zufaellig gehorcht die primaere Organisation von Buechern ñ wie sie das Inhaltverzeichnis zusammenfasst ñ genau derselben Logik: Der Leser wird mit einer Abfolge von Kapiteln und Unterkapiteln konfrontiert, die manchmal einer primaeren Zweiteilung wie der in Theorien vs. Fallstudien folgt.

Wir sehen uns also offensichtlich vor die Aufgabe gestellt, dieses beschraenkte Repertoire zu erweitern, um mit den verfuegbaren Informationsstrukturen komplexere Zusammenhaenge vermitteln zu koennen. Dieses erweiterte Repertoire der Verraeumlichung soll statt bloss linearer Abfolgen Moeglichkeiten des Vorgriffs und der Querverweise enthalten. Es soll auch bei der Einteilung in Gruppen Platz fuer sich ueberschneidende und stufenweise Ubergaenge bieten. Statt strengen Dichotomien Vorrang einzuraeumen, wollen wir gern mit vielfachen Unterscheidungen und Verbindungen gleichzeitig arbeiten koennen. Im Fall von Wunschmaschine Welterfindung schufen wir mit einem einfachen Raumgenerator, der sicherstellte, dass das komplexe Ergebnis fuer die Besucher les - und abrufbar blieb, ein ungewoehnlich hohes Mass an raeumlicher Komplexitaet. Drei grosse durchgehende Waende zogen sich durch den Gesamtraum - Waende, von denen jede ihren besonderen Charakter hatte: Zickzack, S-Kurve, Bumerang. Jede Wand transportierte ein Hauptthema oder eine Story der Ausstellung. Die durch den Raum verlaufenden Waende kreuzten einander an vielen Punkten und lieben so eine Reihe ganz anderer Raume entstehen. Jeder dieser Raeume verband wiederum Momente von zwei oder drei Waenden bzw. Storys zu einer Gruppe mehrerer Themen. Das Ergebnis war eine Gleichzeitigkeit zweier einander durchdringender Bezugssysteme: Entwicklungslinien und Gruppierungen.

Salieri und Mozart

 

Im vorliegenden Fall operiert das Konzept der Ausstellung mit dem Umstand, dass Salieris Werdegang den Komponisten an dieselben Orte fuehrte, an denen der juengere Mozart bereits vor ihm gewesen war. Die Ausstellung zielt darauf ab, diesen beiden allem Anschein nach zeitlosen Ikonen der Musik in den sich wandelnden zeitlichen und oertlichen Zusammenhaengen ihren Platz zuzuweisen. Wie bereits bemerkt, bietet der Palazzo Reale die typische Flucht von Raeumen - gewoelbten selbstaendigen Raeumen, die durch kleine Tueren in der zentralen Achse miteinander verbunden sind. Es erwies sich als unwiderstehlich, diese Anlage als Grundstruktur zu uebernehmen, um die Zusammenhaenge, die die beiden Figuren bewegen, in einer klaren Abfolge anzuordnen: Mailand unter oesterreichischer Herrschaft, das Wien Maria Theresias, das Wien Josephs II., das vorrevolutionaere Paris und schliesslich wieder Wien.

Den beiden Protagonisten entsprechen zwei Baender, die sich von Raum zu Raum spannen und einander immer wieder begegnen. Die Baender unterscheiden sich deutlich voneinander: Das die Ausstellungsstuecke zu Salieri verknuepfende Band ist groesser, ruhiger, durchgaengiger, Mozarts Band hingegen bruchstuckhaft und in seiner Form dynamischer. Die Information zu den Zusammenhaengen wird als Hintergrund der Geschichte der Protagonisten praesentiert. Der in grossen Buchstaben gesetzte Textkommentar dient als weitere, halb unabhaengige Informationsebene, die aber fuer sich stehen kann. Dass sich die Bander durch die Tueren zwaengen, vermittelt Kontinuitaet. Verschiedene schmale Offnungen in den Wanden lassen Verbindungen und Abkurzungen entstehen, die vorgreifende und ruckblickende Querverweise gestatten. So bleibt eine interessante umfassende Spannung zwischen der streng segmentierten Raumflucht und dem rhythmischen und zusammenhaengenden Raum erhalten, der von den sich faltenden, kruemmenden Baendern begrenzt wird.

End.


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