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Die Funktion Von Kunst Und Design Im Wirtschaftsprozess
Patrik Schumacher 1985 - 1995
Analyse der Prägungsphase am Beispiel des Deutschen Werkbundes
Unpublished Manuscript

VORWORT UND CREDO

Diese Arbeit ist Teil einer umfassenden, historisch-kritischen Sinnreflektion eines aktiven Architekten.
Als praktizierender Architekt nehme ich zum einen direkt an der Produktion der materiellen Lebensgüter teil. Darüberhinaus erhebt aber Architektur, seit der ersten Ausdifferenzierung der Disziplin und des Berufstandes in der italienischen Renaissance, im Gegensatz zum bloßen Bauen, explizit den Anspruch "Kunst" bzw. ein hohes Kulturgut zu schaffen.
Auf der Basis einer modernen materialistischen Philosophie kann man menschliches Handeln allerdings nicht mehr unhinterfragt auf die "Kunst" (oder "Kultur") als gegebenen Wert oder Grundbegriff ausrichten. Das wäre Fetischismus. In diesem Fetischismus ist aber "die hohe Kunst der Architektur", insbesondere auch die Neo-Avantgarde, am Ende des 20.Jahrhunderts immer noch, bzw. gegenüber den revolutinär-progressiven Phasen der frühen 20er und späten 60er Jahre, wieder verstärkt, befangen. Es gibt heute faktisch keinen selbstkritischen Diskurs, der die eigene "kulturelle" Praxis an historisch reflektierten, sozialen Aufgaben mißt und einer historisch-materialistischen Kritik der eigenen Reproduktionsbedingungen unterzieht.
Was die frühen 20er und späten 60er Jahre in, für mein Anliegen relevanter Weise verbindet, ist im allgemeinen der politisch, sozio-ökonomisch und auch ästhetisch revolutionäre Charakter dieser beiden Perioden, und im besonderen die Bloßstellung und kritische Auflösung des bürgerlichen Kunstbegriffes (Logik der Exklusivität, Mystifikation von Kreativität im Begriff des Künstlers als Genie, Absolutstellung von individueller bei Nichtanerkennung kollektiver Leistung, Besessenheit mit Name und Signatur als unabdingbarem Wertzeichen etc.) im Sinne der angedeuteten doppelten Selbstkritik der damals proliferierenden, progressiv kulturschaffenden Bewegungen.
In der vorliegenden Arbeit wird allerdings auf diese beiden entscheidenden Phasen des 20.Jahrhunderts nicht eingegangen, obwohl die Resourcen der Analyse und Kritik, als auch der (nicht immer explizite) positive Ausblick der hier ausgebreiteten Reflektionsarbeit, allesamt in jenen zwei revolutionären Perioden (1) kollektiv erarbeitet (und zum Teil auch produktiv umgesetzt) wurden.

Zunächst zu den intellktuellen Resourcen meines Diskurses: Über die grundsätzliche Verankerung meines Ansatzes in der Tradition des Marxismus (der an dieser Stelle nicht weiter differenziert werden kann) hinaus, muß hier vor allem Manfredo Tafuri’s (2) marxistische Kunst und Architekturkritik  erwähnt werden. Tafuri’s Interpretation der wesentlichen Meilensteine in der Entwicklung der Ästhetischen Ideale der Architektur (vom18.Jahrhundert bis zu den 30er Jahren des 20.Jahrhunderts) war und ist ein überzeugendes und fruchtbares Beispiel materialistischer Kulturanalyse. So bestimmt er zum Beispiel den Architekturtheoretischen Naturalismus Laugier’s und die damit einhergehende Ästhetik des Pittoresken im Sinne der Interessen der frühkapitalistischen, urbanen Expansion als Ideologische Kampfansage an die absolutistisch kontrollierte Baroque Stadtplanung und als (sowohl nachträgliche als auch vorsorgliche) Ästhetisierung der chaotischen Urbanisierungsmuster des frühen Laissez Faire Kapitalismus.
In diesm Sinne  ließen sich auch die ästhetischen Grabenkämpfe der Gegenwart materialistisch-historisch eingeschätzen. Auf der Basis einer materialistischen Analyse positioniere ich mich auf der Seite des sogenannten “Dekonstruktivismus” gegenüber sowohl der Neoklassizistischen  Stilrichtung als auch gegenüber dem sogenannten Minimalismus oder Neomodernismus. Der Durchbruch der Postmodernen Architektur – dem Vorläufer des Dekonstruktivismus -  in den späten siebziger Jahren und die lawinen-artige 'Marktbereinigung', die  in den achziger Jahren das gesammte Baugeschehen ergriffen hatte, bedeuten mehr als nur einfach eine neue ästhetische Sensibilität im Sinne eines  Modewechsels. Eine strukturell  neue Phase kapitalistischer Reproduktion  - Postfordismus(3)  - ist hier grundlegend. Postmoderne Ästhetik  - die 'unerhörte' Negation der ur-ästhetischen Werte der Homogenität, Kohärenz und Vollendung, und die 'unverschämte' Affirmation von Heterogenität, Brüchen, Collagen und 'Halbheiten'  -  signalisiert die 'Überholung'  der Rationalitäten und Sensibilitäten der modernen Gesellschaft der bürokratisch organisierten Massenproduktion. Der sogenannte “Dekonstruktivismus” (und die sogenannte “Architektur der Faltung”) sind in diesem Sinne produktive Radikalisierungen desselben Bruchs und repräsentieren keine fundamentale Diskontinuität in Bezug auf die Postmoderne.

Der Schwerpunkt der Arbeit Tafuri’s liegt auf der ideologischen Vorbereitung der Moderne im Bereich der Kunst der Avant-garde (Kubismus, Dadaismus, Futurismus, Konstruktivismus etc.) als der ideologisch-ästhetischen Sublimation der modernen Grunderfahrungen der industrielen Großstadt (Entwurzelung, Entzauberung, Fragmentation der Sinnbezüge, Nivellierung substantieller Qualitäten und Werte in monetären Quantitäten etc.). Nach Tafuri machen die Ikonoklasten der radikalen Kunstbewegungen den Weg frei für eine radikale Modernisierung der gebauten Umwelt und der Welt der industriellen Lebensmittel, entfesselt von jedweder traditionallen Bindung. Tafuri geht von der Avant-garde der Kunst direkt zu den Protagonisten der Moderne der 20er Jahre über. Die wesentliche Umschaltstelle ist für ihn das Bauhaus.
Im Gegensatz dazu – aber eher als Ergänzung denn als Widerlegung Tafuri’s – würdigt die hier vorgelegte Analyse die ästhetischen Umwelzungen, die im Deutschen Werkbund geradezu “von oben”, in direkter Allianz mit den progressivsten Kräften der Wirtschaft herausgefordert und organisiert wurden. Im Werbund finden wir sowohl die ästhetischen, als auch die theoretisch-ideologischen Vorboten der sogenannten “klassischen Moderne” der zwanziger Jahre für die das Bauhaus ein wesentlicher, aber vielleicht doch überschätzter  Ursprungsort war. Mir geht es hier allerdings nicht um die Ursrungsgeschichte der Modernen Architektur. Der Werkbund wird hier nicht gemäß der kunstgeschichtlichen Tradition primär als Prämoderne thematisiert. Vielmehr geht es um ein historisch-materialistisches Verständnis von einem epochalen Phänomen  - der damals zuerst massiv aufkommenden Logik der Warenästhetik und der wirtschaftlichen Instrumentalisierung des Kunstbegriffs – das seit den 80er Jahren wieder verstärkt das Arbeitsfeld von Design und Architektur strukturieren. Der aktuelle Anlass zum Beginn der vorliegenden Arbeit liegt in der Tat in dem massiven Aufkommen der Designerkultur Anfang 80er Jahre. Die Paralellen zwischen den 80er und 90er Jahren unseres Jahrhunderts mit den Jahren vor dem ersten Weltkrieg gehen über das vergleichbare Aufblühen der Designerkultur hinaus. Mit dem Ende der sozialistisch/sozialdemokratischen Epoche (1919-1989) scheinen strukturelle Momente und Dynamiken des frühen Zwanzigsten Jahrhunderts in der gegenwärtigen weltgeschichtlichen Epoche wieder aufzutauchen: Nationalismus, ökonomischer Internationalisierungsschub, handels- und ordnungspolitische Rivalitäten zwischen den industriellen Großmächten (USA, Japan, Deutschland, Großbritannien), betonte soziale Stratifikation und Polarisierung im inneren der Gesellschaften etc.
Vor dem Hintergrund und gleichsam im magnetischen Feld derartiger sozial- und weltpolitischer Spannungen versucht die vorliegende Arbeit die künstlerische und organisatorische Arbeit des Deutschen Werkbundes zu begreifen. Dies entspricht, wie zu Genüge belegt werden wird, durchaus dem Selbstverständinis der wesentlichen Werkbundprotagonisten Friedrich Naumann und Hermann Muthesius.

Eine weitere, wesentliche, und vielleicht die grundlegendste Paralelle zwischen dem Anfang und dem Ende des Zwanzigsten Jahrhunderts ist hier zu erwähnen: Beide Perioden sind durch einen industrie-technologischen Strukturwandel bestimmt. Am Anfang des Jahrhunderts stand die sogenannte 2. Industrielle Revolution (4) charakterisiert durch die Einführung der Chemie einerseits und der Elektrizität andererseits, sowohl in den Konsumptions- als auch Produktionsprozeß, und davon ausgehend allgemeiner bestimt als Phase der durchgehenden Automation (und der damit notwendig einhergehenden Konzentration) der Produktion von Konsumgütern (consumer durables). Dies ist die Phase, in der die neuen Technologien und Produktionsverfahren die Entwicklung vieler neuer Produktkategorien inspirierte: von den elektrischen Lampen und Geräten der AEG, über Kosmetika, Nähmaschinen, Schreibmaschinen bis zu den ersten Automobilen, Küchen und Badezimmern. Gleichzeitig wurde das ganze traditionelle Gebiet des Hausrats (Gestühl, Geschirr und Textilien) mit in den Innovationsstrudel gezogen. Dies sind die turbulenten Anfänge des Fordismus, noch ohne die stabilisierenden Mechanismen der sozialdemokratischen Epoche.
Heute stehen wir inmitten der Innovationsstürme des sogenannten Postfordismus, auf der Basis der 3. Industriellen Revolution: der Revolutionierung aller Produktions- und Konsumptionsprozesse durch die explosive Entwicklung micro-elektronischer Technologien. In diesen, jeweiligen radikalen Innovationsschüben am Anfang und am Ende des Jahrhunderts liegt wohl der tiefere, rationale Grund für das jeweilige verstärkte Auftauchen der Figur des Künstlers. Jenseits aller Fetischisierungen und ideologisch-werbemäßigen Ausbeutung des Kunstnimbus als Wertzeichen, gibt es also auch ein rationales, positives und progressives Moment in der Transformation der Produkt-und Musterzeichner zu Künstlern. Der Künstler war und ist der orginelle Gestalter, der radikale Innovator, Erfinder, Umwerter aller Werte und Non-konformist. Der Künstler ist in diesem Sinne eine Figur, die in Phasen der beschleunigten Transformation gesellschaftlicher Reproduktion gleichsam auftreten muß.
In diesem Kontext möchte ich das folgende Wort Friedrich Naumanns, des wesentlichen, politischen Kopfes des Deutschen Werkbundes (und des Deutschen Liberalismus der Zeit), zitieren:
"Das Neue, von dem wir sprechen, ist, daß es jetzt Gestaltungskünstler gibt, die sich über den Zustand des abhängigen akademischen Zeichners und Erfinders weit emporheben. Das aufkommen solcher Künstler ist ein kulturgeschichtliches Erlebnis ersten Ranges." (5)

Dieser rationale Aspekt der Assimilation von industrieller Produktion (als Design und Architektur) an den Kunstbegriff ist in der hier vorgelegten Arbeit nicht weiter vertieft. Vielmehr werden hier die ideologischen, irrationalen Momente und Logiken dieser Assimilation  - Fetischisiering, Mystifizierung, Kunst als Wert-, Werbe- und Warenzeichen, Kunst als nationalistische Identifikationsmarke, als Monopolisierungsinstrument, als Eigentumstitel etc. –  kritisch, systematisch und nuanciert bis in die konkreten, stilistischen und kunsttheoretischen Äußerungen der Epoche verfolgt. Die positiven und rationalen Aspekte der “künstlerischen” Avante-garde in Design, Architektur und Medienindustrie habe ich, bezogen auf die Gegenwart, an anderer Stelle reflektiert und im Rahmen einer materialistischen Gesellschaftstheorie zu fassen versucht, die sich an den progressiven Tendenzen und Möglichkeiten der gegenwärtigen, postfordistischen Restrukturierungsturbulenzen orientiert.(6)  Im Gegensatzt zu dem dort verfolgten optimistischen Ansatze, fokussiert die in der vorgelegten Arbeit eingenommene Sichtweise, primär auf die Widersprüche und Irrationalismen der damaligen gesellschaftlichen Prozesse. Auch diese, eher pessimistische Sicht läßt sich  heute in Bezug auf die kapitalistisch-neoliberalen Aspekte der postfordistischen Restrukturierung verlängern, mit dem Hinweis, daß auch heute noch die Kreativitätspotentiale der Epoche in allzu konservativ verteitigte gesellschaftliche Grenzen gebannt bleiben.

FRAGESTELLUNG / MOTIVATION

Die kulturelle, wirtschaftliche und politische Rolle des Deutschen Werkbundes im auf den ersten Weltkrieg zusteuernden Deutschen Reich wirft viele aktuell relevante Fragen über das Verhältnis von Kunst und angewandter Kunst (Design und Architektur) zu Industrie, Staat und Gesellschaft auf. Gerade in jenen Jahren wurden Kunst und Design (u.a. durch den DWB) zuerst gezielt in einen wirtschaftspolitischen Funktionszusammenhang gestellt, der auch heute noch bestimmend ist, damals jedoch als Neuheit viel bewußter war und offener proklamiert und gefordert wurde:
"Es ist Zeit, dass Deutschland das begeifen lernt, dass es den Künstler nicht mehr betrachtet als einen Menschen, der mehr oder minder harmlos seiner Liebhaberei nachgeht, sondern, dass es in ihm eine der wichtigsten Kräfte sieht, um durch Veredelung der Arbeit das ganze innere Leben eines Landes zu veredeln und dieses Land dadurch nach aussen hin im Wettkampf der Völker sieghaft zu machen."(7) (Fritz Schumacher 1907 anlässlich der Gründung des Deutschen Werkbundes.)
Wenn auch idealisierende Begriffe wie "Deutschland" und "Volk" die wirtschaftliche Motivation verklären, so ist doch der Kunst ihre Funktion deutlich genug zugewiesen.
Der Deutsche Werkbund organisierte nicht nur die unmittelbar kommerziell wirksame Praxis des modernen Design, sondern systematisierte auch die moderne Design- und Architekturtheorie, d.h. den Ideologischen Überbau dieser Praxis. In wesentlich frappierenderer Weise als die Gestalt der Produkte es ahnen lässt, war die Ideologie der Moderne in der sogenannten Prämoderne antizipiert. In den frühen programmatischen Schriften des DWB waren die wesentlichen Kategorien der modernen Architekturkritik, wie z.B. Zeitgeist/Zeitgemässheit, das Ethos des Funktionalismus, Massenwirksamkeit etc., die bis in die 60iger Jahre die Debatten um Design und Architektur dominierten, bereits vor dem 1.Weltkrieg vollständig formuliert. Daß diese weitreichend wirksame Ideologie alles andere als unschuldiges Kunst- und Kulturstreben ausdrückt, wird in der Analyse ihrer Entstehungsbedingungen  - ihrer Prägung -  im DWB besonders deutlich. Die Kunst wurde ihrer Funktion nach zu einer ökonomischen Kategorie.
Heute ist dieser Zusammenhang aus dem Bewußtsein verdrängt bzw. unter Idealisierungen begraben.(Solange das Neue sich noch bahnbricht und noch Sand im Getriebe ist, hört man noch etwas. Schliesslich jedoch rollen die Räder leise und widerstandslos.) An solcher Idealisierung leidet auch speziell die fast ausschließlich kunsthistorisch orientierte Geschichtsschreibung des Deutschen Werkbundes und genau hier ist deshalb der Ort für eine strategisch entscheidende Rekonstruktion.

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