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Oekologischer Parametrismus
Patrik Schumacher, Innsbruck 2012

Published in:
Out of AZ4 reloaded
Springer Verlag, Wien – New York, 2012

Meine These lautet: Der Parametrismus ist der einzige Stil der Gegenwartsarchitektur, der die Herausforderung verschärfter ökologischer Rahmenbedingungen effizient und überzeugend in architektonische Erfolgsbedingungen umzumünzen vermag.
Der Parametrismus wird bisher selten mit Nachhaltigkeit und der ökologischen Herausforderung in Zusammenhang gebracht. Im Gegenteil, es zirkuliert eher das Vorurteil, dass der Parametrismus hier versagt und deshalb derartige Verantwortungen von sich weist. Das war in der Anfangsphase des Parametrismus auch so. Man hatte sich zunächst auf die Erarbeitung neuer, genereller Prinzipien und auf die Beherrschung der neuen Entwurfsmethoden konzentrieren müssen bevor man sich aktuellen Herausforderungen konkret stellen konnte. Der Parametrismus hatte zwar fast von Anfang an die abstrakte Idee der ‘Ökologie‘ als einem System von komplex vernetzten Wechselwirkungen als inspirierende Analogie aufgegriffen, um Gebäude als Netzwerke von in Wechselwirkung aufeinander bezogener Subsysteme zu entwerfen, aber die eigentlich nahe liegende Möglichkeit der konkreten Anwendung des sich an der Ökologie inspirierenden Denkens auf die konkrete ökologische Herausforderung, der sich die Architektur schon seit geraumer Zeit ausgesetzt sieht, kommt erst jetzt mehr und mehr ins Blickfeld der Avant-garde. Das hier veröffentlichte Projekt “Therme Armorgos” von Paul Mandler beweist wie kongenial das parametrische und das ökologische Denken sich aneinander steigern können.
Die adaptive Ausdifferenzierung der Formparameter eines Gebäudeentwurfs in Bezug auf die nach Himmelsrichtungen differenzierten Umweltfaktoren (Sonne, Wind, Regen) ist nicht nur energetisch effizient, sondern im Sinne der Artikulationsintention des Parametrismus eine willkommene Gelegenheit den Entwurf mit einem Regel-basierten Variationspektrum anzureichern. Mit der zunächst klimatechnisch motivierten (graduellen) Fassadendifferenzierung korreliert dann in einem zweiten Schritt eine funktional motivierte Differenzierung der Räumlichkeiten (und damit der Lebensprozesse) hinter der Fassade. Somit trägt die Regel-basierte, parametrische Differenzierung der Räumlichkeiten zur Ordnung und Lesbarkeit (und damit auch zum besseren Gelingen) der so anschaulich geordneten Lebensprozesse bei. Das ist die eigentliche gesellschaftliche Funktion von Architektur. Ökologische Nachhaltigkeit ist nur eine Randbedingung und Mindestanforderung, deren Erfüllung an sich noch nichts über das gesellschaftliche Gelingen von Architektur besagt. Diese Randbedingung und Mindestanforderung lässt sich einerseits (aktiv) mittels effizienterer Maschinen bedienen, andererseits (passiv) mittels architektonischer Organisation und Formgebung. Maschinen unter der Haube oder unter der Erde sind eine reine Ingenieursangelegenheit und  - abgesehen vom schlichten Platzbedarf -  von keinerlei Interesse für Architekten. Der architektonische Beitrag zur Nachhaltigkeit Bedarf ebenfalls der Ingenieursintelligenz. Architekten müssen sich zumindest die Grundprinzipien des je relevanten Ingenieurswissens aneignen, um das jeweilige Team der Spezialisten herausfordern zu können, in der Suche nach potentiellen Opportunitäten und Synergien zwischen technisch effizienten und zugleich anschaulich ordnenden, räumlich-morphologischen Differenzierungen. Diese Notwendigkeit der Aneignung von ingenieurswissenschaftlichen Grundprinzipien unterminiert mitnichten die Scharfe disziplinäre Abgrenzung zwischen Architektur und Ingenieurswesen. Sie beruht vielmehr auf der Notwendigkeit der Zusammenarbeit zwischen in ihrem Kompetenzbereich klar abzugrenzenden Disziplinen. Das Ingenieurswesen hat es mit physischen Prozessen und technischen Systemen zu tun und übernimmt die Verantwortung für das technische Funktionieren des Gebäudes, inklusive seines Energiehaushalts. Für das Ingenieurswesen sind die Nutzer nur biologische Körper, insbesondere Wärmequellen, Stickstoffquellen,  und vielleicht noch Derterminanten von anzustrebenden, biologisch determinierten, raumklimatischen Regelgrössen. In der Architektur geht es immer um mehr als um physische Prozesse und biologische Regelgrössen. Hier geht es um die Aktivitäten und Intentionen der Nutzer, die nicht nur als physisch-biologische Körper in Betracht kommen, sondern immer auch als wahrnehmungsbegabte, sozialisierte Akteure, die sich in der von Architekten entworfenen, gebauten Umwelt erst einmal orientieren und einander in je spezifischen Kommunikationssituationen finden können müssen. Das ist in der heutigen, dynamisch und hochkomplex differenziert strukturierten Gesellschaft keineswegs trivial, sondern das bedarf einer nuancierten, architektonisch artikulierten räumlich-morphologischen Ausdifferenzierung der gebauten Umwelt. Architektur und Ingenieurswesen unterscheiden sich demnach (ganz grundsätzlich) in ihrem jeweiligen gesellschaftlichen Auftrag und Erfolgskriterium: Lesbare Rahmung von sozialen Kommunikationsprozessen hier und Optimierung der technischen Daten und Rahmenbedingungen dort. Diese Klarstellung der letztendlichen, spezifischen gesellschaftlichen Funktion der Architektur führt uns zur der Einsicht das der Stil, der am ehesten in der Lage ist nuanciert zu auf Umweltparameter einzugehen und zugleich in der Lage ist, die resultierenden Differenzierungen zu nuancierter Raumartikulation und damit zur Kommunikation weiterzuverwenden, in seinen Methoden und aesthetischen Wertschätzungen  - mehr geordnete Differenzierung, mehr ordnende Korrelationen -  am kongenialsten auf die notwendige Einarbeitung der ökologischen Herausforderung in neue, integrale Entwurfskonzepte vorbereited und sowohl intellektuell, als auch methodisch aufgerüstet ist. Meine These verfestigt sich hier deshalb wie folgt: Der Parametrismus ist deshalb der ökologische Architekturstil, und damit ist die Proklamation eines ökologischen Parametrismus gerechtfertigt, und dieser Begriff kann somit eine legitime Überschrift für die nächste Entwicklungsphase des Parametrismus und damit der Gegenwartsarchitektur abgeben.

 

Projekt: THERME AMORGOS
Diplomprojekt Paul Mandler, Universitaet Innsbruck, Betreuer: Patrik Schumacher
































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